Egal ob es um die Stabilität eines Unternehmens geht wie z.B. durch Einschätzung der fundamentalen Qualität in Form der Verschuldung, oder um die Bewertung eines künftigen Investments. Das Eigenkapital spielt eine essentielle Rolle bei der Unternehmensbewertung. Was jedoch ist eigentlich Eigenkapital, wieso kann dies bei ein und demselben Unternehmen zum gleichen Zeitpunkt unterschiedlich hoch sein und warum ist eine tiefere Betrachtung notwendig, anstatt einfach den Buchwert der Passivseite zu beleuchten möchte ich folgend gerne näher erläutern.

Das Eigenkapital, welches sich in Paragraph 272 des HGB wieder findet, spiegelt den Teil des Kapital wieder, das üblicherweise einem Unternehmen von ihren Gesellschaftern (in unsrem Fall also den Aktionären, die sich an der Zeichnung beteiligt haben), ohne Frist nicht rückzahlbar zur Verfügung gestellt wird. Hinzu kommen noch die Mittel, die aus der Selbstfinanzierung stammen. Diese wiederum wird in der Praxis überwiegend durch die Gewinnthesaurierung, also dem Einbehalten von Gewinnen, erwirtschaftet. Diesen Vorgang nennt man auch „offene Selbstfinanzierung“.

Das gezeichnete Kapital entsteht primär durch die Einzahlung von Gesellschaftern bei der Unternehmensgründung oder durch Aufstockung bei Gesellschaftersitzungen. Geht nun ein Unternehmen an die Börse und/oder formiert sich zur Aktiengesellschaft, so wird das Eigenkapital aufgeteilt in eine bestimmte Anzahl an Aktien. Bei der Zeichnung (also bevor ein Unternehmen das Börsenparkett betritt) bringen Sie also Ihr Geld in das Unternehmen ein. Dies ist dann der Handel am Primärmarkt, welcher den Finanzierungsweg für die Unternehmen bildet. Wenn ein Unternehmen den IPO dann erfolgreich abgeschlossen hat, existiert nur noch der Handel der Aktien am Sekundärmarkt. Neues Geld fließt demnach nicht INS Unternehmen, sondern nur noch von einem Aktionär an den anderen. Erst durch z.B. eine Kapitalerhöhung und die Ausgabe neuer Anteile (neue Aktien werden also geschaffen) kann das Unternehmen sich frische Mittel besorgen (weitere Kapitalmarkttransaktionen lassen wir an dieser Stelle einmal außen vor). Oftmals reagiert der Kurs bei Ankündigung einer Kapitalerhöhung mit starken Verlusten. Dies erscheint auch völlig logisch, wenn man bedenkt, dass sich ein Aktionär den gleichen Unternehmenswert nun mit mehreren Aktionären teilen soll.

Demzufolge stellt das Eigenkapital die Differenz aus allen Aktiva (u.a. Kasse, Anlagen, Maschinen etc.) und den Verbindlichkeiten dar.

Das Eigenkapital findet sich immer auf der Passivseite wieder. Bei deutschen Unternehmen, wie Sie sie sicherlich zu Haufe betrachten, ist dies im Regelfall auf der Passivseite einer Bilanz der obere Part vor den Verbindlichkeiten. Folgend ein Beispiel der Daimler AG:

Quelle: Jahresbericht 2015 – Daimler AG

 

Natürlich sind jedoch auch US-Unternehmen von großem Interesse. Hier wird das Eigenkapital oftmals als „Shareholders‘ equity“ deklariert. Allein die Bezeichnung macht bereits die etwas kapitalmarktorientierte Haltung der Unternehmen deutlich, da es sich ja um das Eigenkapital der Anteilsinhaber handelt. Bei deutschen AG’s ist dies nicht anders, nur die Bezeichnung ist differenziert. Folgend dafür ein Beispiel der Apple Inc.:

Quelle: Annual Report der Apple Inc. vom 26.09.2015

 

Aus beiden Auszügen wird ersichtlich, dass der Teil des Eigenkapitals der aus Aktien besteht, eben diesen gewissen Wert wiederspiegelt. Dieser Wert ist in der Regel konstant, außer neue Aktien wurden z.B. an den Markt gebracht oder aus dem Bestand veräußert (Änderung der „Shares outstanding“). Der größte Einflussfaktor für das EK ist demnach ein hoher Gewinn oder Verlust.

Der Blick ins „Fenster“ zeigt nicht den ganzen Raum

Bei Aktiengesellschaften werden jedes Quartal Zwischenberichte veröffentlicht, die auch eine Entwicklung des Eigenkapitals auf drei Monate anzeigen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich hier um die Betrachtung eines einzigen Zeitpunktes handelt! Überspitzt ausgedrückt können die dargestellten Werte am Tag drauf bereits „völlig“ anders aussehen. Das oftmals genutzt Stichwort „Windows Dressing“ findet in diesem Zusammenhang Erwähnung. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die ein Unternehmen ergreifen kann um wichtige kurzfristig zu beeinflussen und dementsprechend geschönt darzustellen. Werden also starke Abweichungen verzeichnet, ist dem Hintergrund, welcher z.B. in Form eines Verlustes auftreten kann, auf jeden Fall auf den Grund zu gehen. Zwar lassen sich andere Parameter der Bilanz noch deutlich besser manipulieren, jedoch ist dies auch beim Eigenkapital bereits geschehen.

Die Gewinn- und Verlustrechnung wie auch das Cashflow-Statement spiegeln hingegen einen gesamten Zeitraum wieder und sind somit weniger Anfällig für beeinflussende Maßnahmen.

Eigenkapital, Fremdkapital, Mezzanine

Das Eigenkapital haben wir bereits im Rahmen der Selbstfinanzierung (Einlagen der Gesellschafter/ Kapitalerhöhungen bei Aktionären oder Gewinnthesaurierung)  definiert. Die Fremdfinanzierung z.B. in Form von Bankkrediten oder klassischen Anleihen zählt üblicherweise nicht zum Eigenkapital. Nun gibt es jedoch den Bereich des Mezzanine-Kapitals, welches eine Mischung aus Eigen- und Fremdkapital darstellt. Bei diesen Finanzierungsprodukten, zu denen Hybrid-Anleihen, Schuldscheindarlehen, Private Placements oder Genussscheine gehören können, kommt es immer auf die individuelle Ausgestaltung an. Die wichtigsten Fragen dabei sind Haftung und Gewinn- bzw. vor allem Verlustbeteiligung. So erinnern wir uns an die Genussscheine der Drägerwerk AG aus Lübeck (Analyse zu diesen Genussscheinen finden Sie hier). Bei diesen Genussscheinen muss man ganz genau in die Verkaufsprospekte schauen. So heißt es wie folgt:

Eine Gewinnbeteiligung und somit jedoch auch ein negativer Effekt bei Verlusten besteht demnach voll und ganz, weswegen ein starkes Argument geliefert wird, welches für einen eigenkapitalähnlichen Charakter spricht.

Bei üblichen Anleihen, welche zum Fremdkapital gehören, werden die Coupons aus dem Cashflow bezahlt. Bei hybriden Anleihen sind die Bedingungen etwas anders. So kann das Unternehmen die Zahlungen z.B. aussetzen oder Anleihen frühzeitig ablösen. Generell sind die Laufzeiten jedoch höher. Diese Art von Anleihen ist weiterhin nachrangig. Das bedeutet, dass sie im Insolvenzfall erst nach den normalen Anleihegläubigern bedient werden. Für die erhöhten Risiken wird üblicherweise auch ein deutlich höherer Coupon gezahlt. Der Energieversorger RWE beispielsweise zahlt auf seine Hybridanleihen einen jährlichen Nominalzins von 6,625%. Viele spannende Infos dazu finden Sie im Investor Relations Bereich der RWE.

Unterm Strich wird also deutlich, dass immer eine genaue Betrachtung des jeweiligen Prospektes notwendig ist, um zu definieren, wie das Kapital bewertet wird. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aber auch Banken, die z.B. zur Kreditvergabe herangezogen werden, bewerten diese Finanzierungsformen ebenso individualisiert.

Die Geschichte vom negativen Eigenkapital

Die Gewinnthesaurierung haben wir nun bereits mehrfach angesprochen. Was passiert jedoch im Falle eines Verlustes. Rein mathematisch handelt es sich dabei um genau den gleichen Vorgang, sodass der nun negative Betrag ebenfalls zum Eigenkapital addiert wird, wodurch sich eine Verringerung ergibt. Ist die Ausstattung mit Eigenkapital besonders hoch und liegt wie von Benjamin Graham (Urvater des Value-Investings und Lehrer Warren Buffets) sogar über 50%, so kann ein Verlust über einen gewissen Zeitraum verkraftet werden. Ist das Eigenkapital dann jedoch aufgebraucht und übersteigen die weiteren Passiva (also die Verbindlichkeiten) die Aktiva ist ein negatives Eigenkapital entstanden. Wenn Sie tatsächlich Unternehmen finden, die über solch eine Bilanzstruktur verfügen, ist meistens Vorsicht das Gebot der Stunde. Oftmals handelt es sich um Unternehmen, die kurz vor dem Bankrott stehen oder eher auf Venture-Capital in der Start-Phase angewiesen sind.

Eigenkapital hilft bei der Börsenbewertung

Für die Aktionäre unter Ihnen hat das Eigenkapital jedoch noch zahlreiche weitere nützliche Funktionen. So hilft es uns u.a., bei der Bewertung einer Aktie.

Das Kurs-Buchwert-Verhältnis

Das Eigenkapital wird üblicherweise auch als Buchwert beschrieben. Aus diesem Grunde sprechen wir beim allgemein bekannten KBV von einem Kurs-Buchwert-Verhältnis. Dabei wird also die Summe des Eigenkapitals durch die Anzahl der Aktien geteilt, wodurch ein Buchwert je Aktie entsteht. Nun teilt man den derzeitigen Aktienkurs durch den vorher berechneten Wert und erhält das KBV. Allgemein sagt man, dass eine deutliche Unterbewertung vorliegt, sobald der Buchwert je Aktie höher ist als der Aktienkurs und somit ein KBV von unter 1 entsteht. Dies ist jedoch gerade aufgrund von Wachstumschancen und Zukunftsfantasien nur selten der Fall, weswegen ein Vergleich zur Branche immer ratsam erscheint.

Eigenkapitalquote

Die Eigenkapitalquote gibt äußerst simpel das Verhältnis vom Eigenkapital zur Bilanzsumme an. Beläuft sich die Bilanzsumme also beispielsweise auf 150€ und das Eigenkapital beträgt 60€ so liegt die Eigenkapitalquote bei 40%. Je nach Geschäftsmodell und der Intensität notwendiger Anforderungen an ein Geschäft, können die EK-Quoten äußerst differenziert ausfallen und je nach Branche stark abweichen. Der Internetriese Alphabet (vorher Google) verfügt über eine erstaunlich hohe Quote von über 80%. Das Chemieunternehmen BASF liegt branchentypisch bei lediglich 44%, wohingegen Finanztitel wie z.B. die Bank of America mit 12% üblicherweise sehr gering ausfallen.

Eigenkapitalrentabilität

Neben der Bewertung wollen wir in Unternehmen investieren, die rentabel arbeiten. Dafür ist der Gewinn auf das von uns zur Verfügung gestellte Kapital (also das Eigenkapital) ein ausschlaggebender Wert. Das Eigenkapital wird dabei durch den Nettogewinn einer Gesellschaft geteilt und mit 100 multipliziert. Das Ergebnis ist die Eigenkapitalrentabilität oder im englischen ROE (Return-on-Equity). Auch hier kann jedoch keine allgemeine Aussagekraft getroffen werden. Während Daimler als Automobilhersteller eine EK-Rentabilität von ca. 17% mitbringt, zeigt der Pharmariese Novartis lediglich 9,50% und der Technologieriese Apple stolze 42%. Ein genauer Vergleich mit der Branche und den wichtigsten Wettbewerbern ist also auch hier verpflichtend.

 

Sie haben also gesehen, dass das eigentlich so simpel wirkende Eigenkapital viele unterschiedliche Betrachtungsweisen erfordert. Bei der Suche nach spannenden Unternehmen mit sicherer Grundstruktur sollte das Eigenkapital in der Bilanz also immer eine der ersten Anlaufstellen sein, da man aus der aktuellen Verfassung aber auch der Entwicklung bereits zahlreiche spannende Erkenntnisse ziehen kann.

 

Ihr Andreas Meyer

 

Quelle: www.greenriver-capital.com, www.morningstar.com, www.draeger.com, www.daimler.comwww.investor.apple.com

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